Einblicke in das Jugendkonzept des FSV Mainz 05
Tobias Ehrenberg ist Co-Trainer der Mainzer U15 – Juniorenmannschaft. Im Interview gibt er interessante Einblicke in die Arbeit der Mainzer Fußballschule.
Hallo Tobias, der Nachwuchs wird in Mainz schulisch, (sozial-)pädagogisch, medizinisch, physiotherapeutisch, psychologisch und natürlich sportlich betreut. Wie ist das verteilt? Was nimmt den größten Raum ein?
Eine z.B. prozentuale Aussage ist nicht zu treffen, denn der Anteil ist bei jedem Spieler individuell anders verteilt. Den größten Anteil nimmt aber immer noch die sportliche Ausbildung ein. Die medizinische und physiotherapeutische Betreuung greift letztendlich nur bei den verletzten oder angeschlagenen Spielern. Ein entscheidender Ansatz zur Vorbeugung dessen ist, dass bei uns bereits im athletischen Bereich verletzungspräventiv gearbeitet wird. Bezüglich der sportpsychologischen Betreuung gibt es bei Mainz 05 indirekte und direkte Maßnahmen. Diese greifen je nach Spielertyp und Lebenssituation.
Gelegentlich wird über Eliteschulen in Verbindung mit den Leistungszentren geredet. Ist es so, dass guter Fußballnachwuchs auch immer elitäre Schüler sind oder sein müssen? Wie ist da der Zusammenhang?
Es handelt sich hierbei um Eliteschulen des Fussballs, die vom Deutschen Fussballbund zertifiziert und ausgezeichnet wurden. Dabei wird ein optimaler Rahmen für die Vereinbarkeit von Fussball und Schule geschaffen. Jeder Spieler wird bei dem Erlangen eines für ihn passenden schulischen Abschlusses unterstützt. Bereits in den Stundenplan sind Vormittagstrainingseinheiten integriert. Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfeunterricht und Nachführ-Unterricht runden die unterstützenden Maßnahmen ab.
Ist eine gute fußballerische Ausbildung ohne diesen ganzheitlichen Ansatz heute überhaupt noch denkbar?
Entscheidend ist der Anspruch, die Spieler bestmöglich auf den Beruf Fussballprofi vorzubereiten bzw. auszubilden. Alleine die sportliche Ausbildung ist nicht mehr ausreichend, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Von dem ganzheitlichen Ansatz profitieren die Spieler nicht nur in Ihrem sportlichen Leben, sondern auch außerhalb dessen und danach.
Wird im Ausland / weltweit vergleichbar ausgebildet?
Eine Vergleichbarkeit ist nur punktuell möglich. So hat doch jedes Land für sich andere Ansatzpunkte, Schwerpunkte und Herangehensweisen an das Thema. Geprägt wird das durch die Kultur und Historie. Ich denke wir haben in Deutschland mit den Nachwuchsleistungszentren eine sehr gute Basis geschaffen.
Wie konnten vor 50/25 Jahren trotzdem Fußballer ausgebildet werden, die Spitzenfußballer und zugleich herausragende Persönlichkeiten geworden sind, obwohl die neuheitlichen Vorgehensweisen bestenfalls 10 – 15 Jahre alt sind?
Sie waren oder sind überhaupt erst Spitzenfussballer Ihrer Zeit auf Grund Ihres herausragenden Talents geworden. Ich persönlich bin der Meinung, dass man die Zeiten vor 50/25 Jahren nicht mit den heutigen vergleichen kann. Der Beruf Fussballprofi ist heute wesentlich komplexer. Alleine der Umgang mit den Medien hat sich stark verändert. Die Persönlichkeit steckt in jedem selbst. Ich habe schon öfters die Aussage „früher gab es mehr Typen im Fussball“ gehört. Da muss man meiner Meinung nach auch die heutigen Spieler in Schutz nehmen. Sie sind zu jeder Zeit mit den neuen Kommunikationsmedien im Fokus der Gesellschaft und müssen sich dementsprechend immer anpassen. Bei Abweichungen aus dem Rahmen steht bei den Spielern von heute zu viel auf dem Spiel. Es drohen „Shitstorms“ auf den sozialen Medien und entsprechende Sanktionen der Vereine. Das schlägt sich letztendlich wieder im Marktwert des Spielers und auch im Bereich der eventuell vorhandenen Sponsoren- und Werbeverträge der Spieler um. Die Kommunikation und der Umgang mit den Spielern ist heute einfach eine Andere.
Im Mainzer Jugendkonzept heißt es, dass Spezialisierung erst ab dem Alter von 16 Jahren erfolgt. Gilt das auch für Torspieler, oder kristallisieren die sich schon früher als Individualisten heraus? Muss / darf jeder während der Ausbildung auch Torspieler sein?
Die Spezialisierung auf den Torspieler erfolgt bereits schon früher. Dieser benötigt schon in jungen Jahren eine technische Schulung. Das fängt ganz banal z.B. mit der Falltechnik an. Wie ist die Stellung des Beins, um möglichst schnell wieder auf die Beine für eine Parade des möglichen Nachschusses zu sein. Sicherlich kann sich jeder in den unteren U-Mannschaften einmal als Torspieler probieren, das hat dann aber auch Grenzen. Wichtiger ist für uns die Torspieler frühzeitig und das auch bis in die älteren Jahrgänge hinein, trotz des zusätzlichen Torspielertrainings, in den normalen Trainingsbetrieb mit zu integrieren. Die fußballerische Komponente der Torpsieler spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Aktuell befinden sich drei DFB-Nachwuchsmannschaften Torspieler in unseren Reihen.
Das Ausbildungskonzept mit den vielen unterschiedlichen Fachleuten und dem immensen technischen und Einrichtungsaufwand ist sicher finanziell auch recht anspruchsvoll. Muss ein Verein das ganz aus eigenen Mitteln stemmen, oder gibt es hierfür auch Sportfördergelder?
Alles, was Mainz 05 in den letzten Jahren investiert hat, sei es infrastrukturell oder personell, hat der Verein auch selbst erwirtschaftet. Es gibt keinen Großsponsor oder Mäzen, der die Kosten der Nachwuchsarbeit deckt oder bezuschusst. Auch öffentliche Mittel für die Sportförderung sind nicht geflossen. Es ist eine strategische Entscheidung des Vereins nachhaltig auf den Nachwuchs zu setzen und hier sind diese Investitionen in Infrastruktur und Personal fast zwangsläufig notwendig um konkurrenzfähig zu sein.
Wie wichtig ist Talent noch, wenn eigentlich alle Bereiche mit der Hilfe von Spezialisten und wissenschaftlichen Methoden systematisch entwickelt werden? Kann da nicht praktisch jeder zum Profi „geformt“ werden?
Talent ist die Voraussetzung, ohne Talent ist es leider nicht möglich Fussballprofi zu werden. Das Talent bildet aber letztendlich nur die Basis und dazu kommen dann viele weitere Faktoren. Es gibt nur sehr wenige Talente die man „auf dem Weg zum Fussballprofi nicht aufhalten kann“. Der Charakter und der Wille sich jederzeit zu steigern bilden mit dem Talent die wichtigste Komponente.
Welche persönlichen und körperlichen Voraussetzungen müssen unbedingt mitgebracht werden, damit die Ausbildung überhaupt erfolgreich sein kann?
Nicht jeder Körper ist zum Fussballprofi gemacht, sei es durch Verletzungsanfälligkeit unter Belastung oder einfach physischer Limits wie z.B. der Schnelligkeit und Dynamik. Die persönliche Voraussetzung ist wie bereits angesprochen, ein sehr starker Wille sich stetig weiterzuentwickeln. Selbstbewußtsein, Disziplin und eine sportlergerechte Lebensweise sind ebenfalls immens wichtig.
Welche Rolle spielt das familiäre Umfeld?
Mainz 05 versucht die Spieler so lange wie nur möglich in Ihrem familiären Umfeld zu lassen. Das ist ein entscheidender Punkt in unserem Ausbildungskonzept. Ein geregeltes familiäres Umfeld stärk den Rücken der Spieler und unterstützt sie bei Ihrem tun. Zusätzlich soll der Spieler seine sozialen Kontakte vor Ort wahren können. Ohne ein funktionierendes familiäres oder auch allgemeines Umfeld des Spielers wird es sehr schwierig.
Welche Ausbildungen können denn junge Fußballer aus einem Leistungszentrum „neben“ der Fußballausbildung zeitlich überhaupt bewältigen. Eine normale Lehre oder auch ein Studium sind ja „im richtigen Leben“ immer Vollzeitaktivitäten. Wie sieht das konkret aus? Welche Berufe sind typisch?
Die Ausübung einer normalen Lehre parallel zur Ausbildung im NLZ ist zeitlich fast nicht zu vereinbaren. Das U17-Team zum Beispiel hat neben 5 normalen Mannschaftstrainingseinheiten auch noch verschiedene individuelle Einheiten zu absolvieren. Zudem sind die Auswärtsspiele oft mit Übernachtung verbunden, so dass hier große Zugeständnisse von Arbeitgebern erforderlich wären. Aktuell absolviert kein Spieler des NLZ eine Lehre, alle Spieler bis einschließlich U19 gehen zur Schule oder absolvieren ein Praktikum.
Wie viel Prozent der Jugendlichen aus der Mainzer Nachwuchsausbildung schaffen am Ende den Sprung in den bezahlten Profifußball?
Hierzu gibt es noch keine aussagekräftigen Statistiken. Allerdings sprechen Namen wie Manuel Friedrich, Roman Neustädter, Mario Vrancic, Jan Kirchhoff, André Schürrle, Stefan Bell, Benedikt Saller, Eric Durm, Christian Mathenia, Shawn Parker, Yannik Huth, David Kinsombi, Patrick Pflücke, Devante Parker und Suat Serdar für die Qualität. In jedem Jahrgang von 1988 – 1997 wurden Spieler entwickelt, die schon Bundesligaeinsätze hatten. Unsere U23 in der 3.Bundesliga bildet zudem eine optimale Plattform zur Ausbildung und Heranführung an den Lizenzkader.
Wie sah die Nachwuchsausbildung in Mainz vor 10-15 Jahren aus?
Vor 15 Jahren war Mainz 05 ein sich ordentlich entwickelnder Zweitligist, der nach Jahren der Abstiegskämpfe in der 2. Liga, zweimal hintereinander hauchdünn und äußerst unglücklich am Aufstieg in die Bundesliga gescheitert war. Die Nachwuchsarbeit war dem eines durchschnittlichen Zweitligisten angepasst. Mittlerweile ist Mainz 05 fast schon ein gestandener Bundesligist, der seit 2004 bis auf 2 Jahre permanent in der 1. Liga vertreten ist. Dementsprechend haben sich die Rahmenbedingungen für den Nachwuchs komplett geändert und professionalisiert. Mittlerweile beschäftigt das NLZ über 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 20 hauptamtlich! Die Nachwuchsarbeit ist ein enorm wichtiger Bestandteil der Vereinsphilosophie.
Was unterscheidet die Nachwuchsausbildung in Mainz heute von anderen Profi-Vereinen?
Ich kann nur für Mainz 05 sprechen. Wir haben ein eigenes Nachwuchskonzept und eine eigene Philosophie. Ziel ist ein gewisser Wiedererkennungswert bzw. eine eigene fussballerische Identität. Diese Philosophie entwickelt sich immer weiter und wird auch in regelmäßigen Abständen hinterfragt. Geprägt wurde „der Mainzer Fussball“ im Gedankengut durch ehemalige Trainer wie Wolfgang Frank, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.
Welchen Rat würden sie Jugendlichen geben, die zwar nicht in einem Profiverein ausgebildet werden, ihren Sport und auch die schulische Ausbildung gerne ernst nehmen möchten?
So platt es klingt und die Jugendlichen es nicht gerne hören, ich kann jedem nur raten, die schulische Ausbildung nicht zu vernachlässigen. Den Traum Fussballpofi erreichen letztendlich nur sehr wenige und das Eine (gute schulische Ausbildung), schließt das Andere (Fussballprofi) nicht aus. Dies ist bei einem organisierten Tagesablauf gut zu kombinieren. Das Wichtigste ist und bleibt der Spaß. Bei der Betätigung die einem Spaß macht, wird man mit dem nötigen Ehrgeiz den größtmöglichen Erfolg erreichen können.